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Die unendliche Insolvenzanfechtung

Wird über das Vermögen eines Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet, ist das meist sehr ärgerlich: fast immer kann man seine Forderung nicht mehr realisieren.

Schlimmer ist es allerdings, wenn man durch geschicktes und hartnäckiges Inkasso einen Teil seiner Forderung realisieren konnte und der Insolvenzverwalter die erhaltenen Zahlungen dann anficht und zur Masse zurückverlangt (Insolvenzanfechtung, §§ 129 InsO). Der Grundgedanke ist auch nachvollziehbar: alle Gläubiger sollen gleich behandelt werden und der Gläubiger, der kurz vor der Insolvenz noch etwas bekommen hat, weil er dem Schuldner besonders nahe stand oder besonders clever war, soll diesen Vorteil zugunsten der anderen, dadurch benachteiligten Gläubiger nicht behalten dürfen. Das leuchtet ein.

Der Knackpunkt ist allerdings die Definition von „kurz“.

§§ 130, 131 InsO bieten für unterschiedliche Fallgestaltungen dabei schon Ansatzpunkte: „kurz“ kann also in der Regel 1 Monat, in bestimmten Fällen auch 3 Monate sein. Im Extremfall – bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung oder bei unentgeltlichen Leistungen (Schenkungen) des späteren Insolvenzschuldners können das bis zu 4 Jahre sein.

Und dann gibt es da noch den unscheinbaren § 139 Abs. 2 InsO, mit dem der Zeitpunkt der Fristberechnung für die Anfechtung zurückverlagert wird.

Auch hier leuchtet der eigentliche Zweck des Gesetzes unmittelbar ein: werden von mehreren Gläubigern in engem zeitlichen Zusammenhang Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners gestellt und kommt zufällig der zweite oder dritte Antrag vor dem ersten Antrag zur Entscheidung, soll für die Fristberechnung natürlich das Datum des ersten Antrages maßgebend sein.

Allerdings hat der Gesetzgeber hier vergessen, eine zeitliche Schranke einzubauen. Somit ist es möglich, den Beginn der Anfechtungsfrist auf ein ewig altes Insolvenzverfahren zurückzuverlagern.

Genau das ist jetzt einem Mandanten passiert:

Seine Forderung gegen den Schuldner stammt aus August 2007 und wurde 2008 durch Vollstreckungsbescheid tituliert. Seither läuft die Vollstreckung gegen den Schuldner. Aus ursprünglich knapp 4.000 Euro wurden im Laufe der Zeit über 10.000 Euro. In den Jahren 2013-2016 ist es uns gelungen, immer mal wieder Teilzahlungen vom Schuldner über den Gerichtsvollzieher bzw. Pfändungen einzutreiben, alles in allem rund 1.300 Euro. Im August 2017 wird dann ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet – außerhalb der Anfechtungsfristen der §§ 130, 131 InsO. Doch – was keiner wusste – über das Vermögen des Schuldners war bereits im Oktober 2007 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt worden, damals wurde es allerdings mangels Masse abgewiesen.

Nun verweist der Insolvenzverwalter aber auf diesen § 139 Abs. 2 InsO und ficht die 2013-2016 erlangten Zahlungen unter Verweis auf das 13 Jahre zurückliegende Insolvenzverfahren an. Zu Recht – meint jetzt auch das LG Dresden in zweiter Instanz (Az. 10 S 384/19). Ist schon die normale Anfechtungssituation einem Mandanten schwer vermittelbar – immerhin muss ja der besonders Tüchtige das bereits Erlange und gegebenenfalls schon Verbrauchte wieder zurückzahlen – so ist diese zeitliche Ausdehnung auf hier 7 Jahre nach der erlangten Zahlung auch dem Anwalt nicht mehr wirklich verständlich, von Rechtssicherheit ganz zu schweigen. Oder wie mir ein Richterin in einem Anfechtungsprozess vor Jahren mal im Vertrauen sagte: wirklich verstehen würde sie das auch nicht, aber das Gesetz wäre eben so.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Nico P.

    Zumindest die Kosten neben der Hauptforderung könnten über die Anwaltshaftpflicht abgedeckt sein, falls dieser (fahrlässig) schuldhaft nicht geprüft hat, ob der Schuldner nicht bereits schon (irgendwann) früher ein Insolvenzverfahren „genossen“ hat. Und denkbar wäre, dass hierbei eine unverjährbare Forderung aus deliktischer Handlung auf den Versicherer übergeht, sollte der Schuldner verpflichtet gewesen sein, über das bereits früher eingeleitete Insolvenzverfahren Auskunft zu erteilen…?

    1. jens haensch

      Die Frage ist: hat der Anwalt eine solche Pflicht? Da die Veröffentlichungen im Insolvenzregister nach einer gewissen Zeit gelöscht werden, müsste man theoretisch an allen zuständigen Insolvenzgerichten aller vorherigen Wohnorte des Schuldners anfragen. Eine Verpflichtung dazu sehe ich nicht.

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