Heap of removed keys from a computer keyboard

Die Kehrseite von eJustiz

Der elektronische Rechtsverkehr soll die Justiz effizienter und schneller machen. Ab dem 01.01.2022 gilt z.B. die sogenannte aktive Nutzungspflicht der Anwälte für beA – das heißt, Anwälte dürfen ab diesem Zeitpunkt nur noch auf elektronischem Wege Schreiben an das Gericht senden. Parallel wird gerade in Sachsen bei den Gerichten die eAkte eingeführt, also die rein elektronische Aktenführung.

Heute habe ich mich dazu mit einem Richter und einem Gerichtsvollzieher dazu unterhalten können.

Der Richter berichtete, dass er normalerweise ca. 50 mal am Tag irgend eine Verfügung unterschreiben müsse. In der analogen Welt dauert das für sein Namenskürzel nur wenige Sekunden. In der eAkte benötigt er dafür 7-8 Mausklicks und muss anschließend für jede Unterschrift eine 8stellige PIN eingeben. Zeitaufwand mehr als 1 Minute.

Dadurch, dass der Richter nun alle Posteingänge direkt bekommt und alle Postausgänge selbst veranlasst, würden zudem zunehmend Aufgaben der Geschäftsstelle – also Sekretariatsaufgaben – auf den Richter verlagert, was dort zwar zu Personaleinsparungen, gleichzeitig aber zu einer deutlich höheren Belastung der Richter führt. denen bleibt dann weniger zeit für ihre eigentliche juristische Tätigkeit. Am Amtsgericht, wo ein Anwaltszwang nicht existiert und „Naturparteien“ auftreten, müsse zudem parallel eine Papierakte geführt werden, weil die Naturpartei ja nicht zur elektronischen Kommunikation verpflichtet sei.

Ein Gerichtsvollzieher berichtete mir, dass ja ab 01.01.2022 alle Zwangsvollstreckungsaufträge von Rechtsanwälten elektronisch eingereicht würden. Dabei müssen aber die Vollstreckungstitel (soweit es sich nicht um Vollstreckungsbescheide auf Zahlung unter 5.000 Euro handelt) ohnehin per Post nachgesandt werden. Außerdem sei der Gerichtsvollzieher verpflichtet, die Vollstreckungsnachweise (also die kompletten Nachweise früherer Vollstreckungsmaßnahmen und deren Kosten – das sind gern einmal mehr als 50 Seiten) selbst auszudrucken und in seiner Akte zu verwahren, da es für Gerichtsvollzieher die eAkte (noch?) nicht gibt. Da es auf der anderen Seite keine Erhöhung der Bürokostenpauschale für Gerichtsvollzieher gibt, bleibt der Gerichtsvollzieher auf diesen zusätzlichen Kosten sitzen.

Alles in allem bin ich zwar davon überzeugt, dass die eJustiz irgendwann einmal zu einer besseren, effizienteren Nutzung des Rechtsstaats führen wird. Im Moment ist deren Einführung allerdings nur eine nicht kompensierte Zusatzbelastung für viele Beteiligte.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

    1. jens haensch

      Ich kenne leider weder das vom Amtsgericht in Sachsen eingesetzte Programm noch die Schulung, die die Richter erhalten, und habe lediglich die Schilderung des Richters – den ich seit langen Jahren kenne – wiedergegeben. Jedenfalls führte der Richter den Umstand, dass ich gestern (09.12.2021) in einer Zivilsache einen Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung für den 22.11.2022 erhielt, wesentlich auf die bevorstehende Einführung der eAkte zurück.

  1. Gunther Marko

    Besten Dank für diesen sehr wertvollen Beitrag, verehrter Herr Kollege Haensch. Ein Richter in der hiesigen Region, mit dem ich schon längere Zeit stets hervorragend verhandle, sagte mir neulich nach einer Verhandlung genau dasselbe ! Und im Hinblick auf das „beA“ wurde er von sich aus sogar sehr deutlich, indem er meinte, es würde „jegliche Vernunft“ fehlen, „zumindest den Nutzungszwang sofort zu stoppen“. Daher bereits, und auch „aus vielen anderen hinzutretenden Gründen“ würde er „die große Hoffnung“ haben, dass „schon bald ein effektiver Hack“ stattfindet, der „das Ganze zum Erliegen“ bringt. Er sprach mir vollkommen aus der Seele. Ich für meine Person leide deswegen schon lange im Stillen und sehe leider kein Licht am Horizont……

    Gunther Marko, Sulz am Neckar, Sonntag, 12. Dezember 2021 (3. Advent)

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